(l.) Martin Unger, Partner Contrast EY und Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes
Anhand der Ergebnisse des aktuellen Retail Barometers Österreich von Contrast EY, warnt der Handelsverband, dass die digitalen Champions den klassischen Handel abhängen.
Handel hat immer schon Wandel bedeutet. Dieser wird aber in der unmittelbaren Zukunft so tiefgreifend ausfallen, wie selten zuvor. Diesen Schluss lassen die Ergebnisse des Retail Barometers Österreich zu. Die Studie hat Contrast EY, die Strategieberatungsmarke der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY Österreich, gemeinsam mit dem österreichischen Handelsverband erstellt und am 18. Jänner 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt. Für die Studie wurden 106 Entscheidungsträger von Handelsunternehmen und über 500 Konsumenten in Österreich befragt.
Dichtes Händlernetz und Online-Trend
Die Gründe für die starken Veränderungen liegen auch an der Struktur der heimischen Branche: In Österreich ist die Dichte an Verkaufsfläche pro Kopf so hoch wie in keinem anderen europäischen Land. Mit 1,67 Quadratmetern pro Einwohner liegen heimische Händler vor Belgien (1,64 Quadratmetern) und den Niederlanden (1,61 Quadratmetern) in dieser Statistik auf Platz eins. Zum Vergleich: In Großbritannien kommen auf jeden Einwohner nur 1,09 Quadratmetern Verkaufsfläche.
Trotz dieses dichten Netzes an Shops kaufen Herr und Frau Österreicher immer öfter online ein. Bereits 4,3 Millionen Österreicher zwischen 15 und 60 Jahren kaufen regelmäßig online ein. Das entspricht übrigens etwa 80 % dieser Alterskohorte. Und: Mehr als jeder Zweite (57 %) erledigt seine Einkäufe sogar zumindest monatlich bei Online-Händlern.
Amazon rulesDie heimische Online-Welt wird aber nicht von Playern aus Österreich dominiert. Etwa die Hälfte der von heimisch Konsumenten getätigten Umsätze fließt zu Playern aus dem Ausland. Dominant dabei ist Amazon. Der Online-Händler aus den USA, der laut EHI Retail Institut im Vorjahr 556 Mio. Euro in Österreich erwirtschaftete, ist hierzulande auch die stärkste Marke. Von 69 % der für das Retail Barometer Österreich befragten Konsumenten gab Amazon als erste Anlaufstelle für den eigenen Online-Einkauf an. Zum Vergleich: Die zweit- und ex aequo drittplatzierten Anbieter Zalando sowie Thalia bzw. H&M kommen gerade einmal auf vier bzw. je zwei Prozent.
Martin Unger, Partner Contrast EY und Sector Leader Consumer Products & Retail bei EY Österreich, erläutert: »Die neuen Mitbewerber erobern immer mehr Marktanteile in einem stagnierenden oder nur leicht wachsenden Markt.« Das führe zu einem starken Verdrängungswettbewerb. Unger mahnt: »Dennoch scheint die Hälfte der österreichischen Händler die Gefahr dieser neuen Mitbewerber zu übersehen.« Der Wettlauf zwischen etablierten Händlern und digitalen Herausforderern habe im Übrigen schon längst begonnen. »Aber viele haben offenbar den Startschuss noch nicht gehört« glaubt der Experte.
Konzept Omnichannel wird unterschätztAuf den ersten Blick scheint sich der stationäre Handel durchaus gegen die internationale Konkurrenz zu wehren. Immerhin 85 Prozent der befragten Händler gaben an, bereits mit einer Omnichannel-Strategie begonnen zu haben. Allerdings sei die Selbstwahrnehmung hier deutlich besser als der Status quo, glaubt Unger und erklärt: »Viele Händler unterschätzen den Umfang und das Potenzial von Omnichannel. Es reicht nicht aus, zusätzlich zu der Filiale auch eine Website zu haben. Es geht vielmehr um eine nahtlose Verknüpfung und individualisierte Interaktion von Kanälen und Kontaktpunkten entlang der Customer Journey. Hier hinken heimische Händler im internationalen Vergleich hinterher.«
Die größten Herausforderungen bei der Einführung von Omnichannel sind aus Sicht der befragten Handelsunternehmen das nötige Kapital (30 %) sowie erhöhte Anforderungen an die Daten- und IT-Sicherheit bzw. mangelnde personelle Ressourcen (je 27 %). Warum der heimische Handel die Digitalisierung langsamer angeht als es eigentlich notwendig wäre, ortet Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will in dem bis dato vergleichsweise gemächlich verlaufenden Wandel in Richtung Einkauf im Web: »In Österreich ist der Online Shopping-Anteil 2017 nur rund halb so hoch gewesen wie in Großbritannien oder den USA.« Es sei aber nur eine Frage der Zeit, bis wir auch hierzulande eine erhebliche Verschiebung in Richtung Online-Einkauf und vor allem auch hin zum Mobile Shopping erleben. Will ist überzeugt: »Spätestens dann wird Omnichannel noch stärker an Bedeutung gewinnen.«