TW-Modehandelskongress: Was will der Kunde wi...
TW-Modehandelskongress

Was will der Kunde wirklich?

Screenshot Modehandelskongress
Der Modehandelskongress ging als hybride Veranstaltung in Präsenz und als Live-Stream über die Bühne.
Der Modehandelskongress ging als hybride Veranstaltung in Präsenz und als Live-Stream über die Bühne.

Während die einen ihre Lagerbestände in den Filialen nicht mit dem Online-Shop verknüpfen können, zeigen die anderen 3-D-Avatare mit exakten Body-Maßen, für die der Konsument in Metaverse Online-Fashion kaufen wird. Auf die Fashion-Branche kommt eine Menge zu.

Der Modehandelskongress 2021, von der TextilWirtschaft als hybride Veranstaltung in Frankfurt in Präsenz und mit Live-Stream veranstaltet, zeigt eine Menge – herausfordernder – Trends, mit denen sich Modehändler und Industrie in nächster Zeit auseinandersetzen werden müssen. Und zwar schnell, denn die „Veränderungsgeschwindigkeit wie wir sie heute erleben, wird nie wieder so langsam sein wie jetzt“, meint Bastian Halecker, Entrepreneur & Connector und ehemaliger Edeka-Händler. Offenbar ins Stammbuch von jenen, die Stefan Edls Präsentation über die 3-D-Plattform „Metaverse“, bei der menschengetreue Avatare in realen Kleidungsgrößen zum Einsatz kommen sollen, für pure Science Fiction gehalten haben. Schneller, als viele denken, will Metaverse nicht nur Live-Shopping von Hamburgern bei Engelhorn in Mannheim möglich machen, sondern auch noch eine Fashion-Avatar-Community schaffen, die dafür online virtuelle Mode kauft. Die dazu benötigte Brille wird es demnächst von Ray Ban geben und sie wird auch nicht viel größer sein, sagt der Facebook (Meta)-Manager Edl.

Dem diametral gegenüber steht ein Chart, das Wirtschaftsforscher Marcel Fratzscher, der sich um weitere Entwicklung durch die Pandemie viel größere Sorgen macht als um die Inflation, so nebenbei präsentiert hat: Lediglich 33 Prozent der Händler haben ihre Digitalisierungsaktivitäten gesteigert, 39 Prozent machen dazu noch gar nichts. Stefan Binkowski, Director Business Development Retail & Consumer, SAP, bestätigt, dass seine echte Verzahnung vom Online-Shop zum stationären Geschäft nicht vorhanden ist. „Im Lockdown lag in den Filialen Ware, die nicht für den E-Commerce verfügbar war“, erzählt er aus seiner Erfahrung. „Die Händler hätten viel mehr verkaufen können, wenn es diese Schnittstelle gegeben hätte.“ Technisch machbar ist das heute alles, doch in manchen Unternehmen scheitert es im Kopf. Diskussionen, ob der Umsatz der E-Commerce-Unit oder der Filiale zugeschrieben wird, sind sinnlos, wenn ihn dann der Mitbewerber macht.

Ohne digitale Transformation geht nichts mehr.

Dabei sind sich die Referenten am Modehandelskongress in einem einig: Ohne digitale Transformation geht nichts mehr. Nämlich vor allem deswegen, da das „Demand-Driven“ Geschäftsmodell nur mit digitaler Hilfe zu realisieren ist. Nicht nur Assyst-Geschäftsführer Hans-Peter Hiemer ist der Meinung, dass in Zukunft erfolgreiche Unternehmen zuerst fragen müssen, „was der Kunde möchte“ und es dann produzieren. „Dazu müssen wir mit dem Kunden in Kontakt kommen und den gesamten Prozess komplett umdrehen“, ist Hiemer überzeugt. Der „stationäre Handel hätte dabei den Vorteil, direkt mit dem Kunden in Kontakt zu sein und ihn viel besser zu kennen.“ Wer online unterwegs ist, sollte bedenken, dass ausgespielte Produkte der jeweiligen Situation des Kunden entsprechen müssen. Also Daunen-Jacken bei Minusgraden, Sneaker bei Frühlingswetter. Nach Halecker muss der stationäre Handel die Hardware digitalisieren. „Smarte Eingangsbereiche, ein digitales Regal, eine digitale Anprobe“ und das immer unter dem wichtigen Aspekt, was „der Kunde eigentlich will.“

Screenshot Modehandelskongress

Entertainment? Massagesessel!

Online einkaufen – zumindest immer öfter. Patrick Boos, CEO der zur Otto gehörenden Witt-Gruppe kann das sogar für die Zielgruppe 50+ bestätigen. 75 Prozent der 65-69jährigen haben in den letzten drei Monaten im Internet gekauft, selbst bei den Über-80jährigen sind es noch 23 Prozent. Und dieser Trend ist gekommen, um zu bleiben. Auch nach der Pandemie wollen 73 Prozent Mode und Accessoires weiter online kaufen. Das heißt allerdings nicht, dass der Kunde nicht mehr shoppen geht. „Er kommt zu uns nicht mehr wegen des Rollkragenpullis“ ist Fabian Engelhorn überzeugt. Die Modehäuser müssen daher immer mehr Entertainment bieten, weshalb Engelhorn das Erdgeschoß ständig neu mit überraschenden Produktgruppen dekoriert.

Für solche sorgt Michael Volland, Gründer von Vaund. Diese besonderen Retail-Flächen zeigen Premium-Produkte und Marken, aber keine Mode und sorgen so in renommierten Modehäusern (Engelhorn, L&T, Breuninger) für die Aha-Erlebnisse des Kunden. Verkauft wird nebenbei auch. Dabei ist der Verkaufsschlager ein Produkt, das man nicht nach Hause tragen kann. „Ein Luxus-Massagesessel um 7000 Euro“, plaudert Volland aus dem Nähkästchen. Mark Rauschen, geschäftsführender Gesellschafter von L&T in Osnabrück sucht gerade einen „Head of Retail Entertainment“, denn er will, dass die „Familie, die am Samstag am Frühstückstisch entscheidet, was sie macht, einen Besuch bei L&T ganz oben auf der Liste der möglichen Aktivitäten hat.“ Dazu wäre ihm auch eine Kletterwand an der Hausmauer Recht. Händler-Kollege Engelhorn probiert es gerade mit Beauty. „Von denen können wir vor allem Geschwindigkeit lernen“, ist seine erste Erfahrung mit dem neuen Segment.

Wäre dann noch gut zu wissen, welche Beauty- und Gastro-Kunden auch noch Mode eingekauft haben. Das können intelligente, attraktive Kundenkarten, ist Harald Ruso (DSAG) überzeugt. Zur Nachahmung empfiehlt er jene von Sephora.

Pandemie-Gewinner Polo-Shirt

Mit dem Produkt „Polo-Shirt“ ging Lacoste als Gewinner aus der Pandemie, erzählt CEO Marcus Meyer, der alles daransetzt, eine junge Zielgruppe anzusprechen. Das schafft man durch nachhaltige Aktivitäten wie „Circulartiy“: jeder der Lacoste ein getragenes Polo zurückbringt, erhält 20 Prozent Discount auf den Neukauf – und die Garantie, dass sein altes verwertet wird. Beschaffung und Preisentwicklung bei der Fracht machen auch Lacoste zu schaffen, wobei das Unternehmen den Vorteil hat, die Produktionsstandorte über die Welt verteilt zu haben, davon auch einen in Frankreich. Vom reinen „zurück nach Europa“-Trend hält Wirtschafsforscher Marcel Fratzscher nichts. „Wir haben überhaupt nicht die notwendigen Fachkräfte, um das zu stemmen.“

Auch Carsten Keller, bei Zalando zuständig für das Connected-Commerce-Programm, sprach am Modehandelskongress.
Ein Geheimnis zur guten Krisenbewältigung ist die Zusammenarbeit mit starken Partnern. Zalando hat in der Pandemie unter Beweis gestellt, dass „connected Retail“ ein Modell ist, das Einzelhändlern hilft, online profitabel unterwegs zu sein. Jetzt legt Carsten Keller, VP D2C Zalando, noch eines drauf: In Zukunft können die Retouren über Zalando abgewickelt werden und zwar „mit einer deutlichen Kostenreduktion für den Händler“, Verschickt wird die über Zalando bestellte Ware ja vom angebundenen Händler.

Dass es sich wirklich lohnt, in den Kunden hineinzuhören und auf seine Bedürfnisse einzugehen, erläutert Sascha Negele, Manager von hachmeister  & Partner. „Wer das tut, macht den sechsfachen Umsatz“ motiviert er die Händler. Und hat ein paar branchenfremde Beispiele für exzellente Kundenorientierung parat: „Harley Davidson als Community-Kaiser“, „Starbucks hat 100 Kundenideen umgesetzt“ und bei Ritz Carlton lautet der – gelebte – Claim auf Augenhöhe mit den Kunden: „Ladies and Gentlemen are serving  Ladies and Gentlemen.“

Fazit des Modehandelskongress 2021: zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft eine fatale Lücke. Die Herausforderungen für die gesamte Branche sind extrem komplex, aber es gibt viele Ideen, wie die Transformation, an der kein Weg vorbeiführt, gelingen könnte und am besten wir fangen heute damit an.




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