Norbert Lock im ÖTZ-Interview mit Textilzeitung-Herausgeberin Dagmar Lang.
Corona hat viele Dinge, die in der Luft lagen, beschleunigt: die Digitalisierung, den Online-Handel (aber nicht in der Mode), die finanzielle Entwicklung von maroden Betrieben. Glauben Sie, dass langfristig ausschließlich Händler und Industriemarken betroffen sind, denen es schon vor Corona nicht gut ging, oder könnte es auch Unternehmen treffen, die vor Corona gesund waren?
Finanzielle Situationen können sich schnell verändern. Krisen sind immer wieder der Start in eine zwar veränderte aber oftmals erfolgreichere Zeit. Aber zuvor ist kaum Einer gefeit, in eine finanzielle Schieflage zu kommen. Da spielen so viele Faktoren eine Rolle: zum Beispiel die Unternehmens- oder die Vertriebsstruktur und die Kundenstruktur. Wieviel NOS-Anteil habe ich, denn der kann nicht kompensiert werden. Nichtabnahmen von Waren, Orderreduzierungen, Lieferstopps, überproportionale Warenrücknahmen, etc., können sich schlagartig auf die Liquidität auswirken, das kann sehr schnell gehen. Wie sieht es in den Ländern aus, in die ich exportiere? In Osteuropa gibt es keine großzügigen Kurzarbeitsmodelle, im mittleren Osten ist noch vieles geschlossen. Ich glaube, viele Probleme liegen noch gar nicht klar auf dem Tisch.
War es ein Vorteil, eine gute Internet-Präsenz zu haben?
Mit Sicherheit, denn erstens war das ein Verkaufskanal, der nicht geschlossen war und außerdem sind Online-Shops auch gute Marketinginstrumente.
Aber auch der Online-Handel hat in der Mode nicht funktioniert.
Weil wir Konsumenten zuhause saßen in Jogginganzügen und Sweaties. Keiner ein neues weißes Hemd fürs Büro, oder ein schickes Kleid fürs Restaurant brauchte. Beides war zu.
Stimmen Sie der Meinung vieler zu, dass die Kollektionen für F/S 2021 dramatisch verkleinert werden müssen? Wenn ja, was heißt das? Weniger Modelle, weniger Styles oder aber auch weniger Verkauf und weniger Umsatz? Um wieviel kann man eine Kollektion eigentlich verkleinern?
Dramatisch verkleinern ist relativ. Die Anzahl der Farbthemen muss sicherlich als Erstes bei vielen reduziert werden. Das mindert Volumen und schafft wieder mehr Klarheit auf den Flächen, hilft diese wieder mehr zu emotionalisieren. Die Kollektionen können noch spitzer gemacht werden, mehr auf den Punkt gebracht. Mit weniger Wiederholern, Brüderchen & Schwesterchen. Das hilft mindestens 30 Prozent zu sparen und Pennermodelle vorab auszusortieren. Damit erfolgt mehr Konzentration, die sich wiederum positiv auf die Produktion auswirkt.
Stimmen Sie der Einschätzung zu, dass im Herbst keine Ware da sein wird, weil die Asiaten nicht liefern können? Stimmt das wirklich?
Ich kann nur für die Firmen sprechen, mit denen ich zusammenarbeite. Wer eigene Teams und Büros vor Ort hat, kann besser steuern und besser liefern. Die Versorgung mit Stoffen, Garnen und Fertigteilen aus Italien war ja eigentlich das größere Problem.
Glauben Sie, dass europäische Marken mit ihrer Produktion Asien den Rücken zukehren und nach Europa zurückkehren?
Wer die erforderlichen Stückzahlen noch schafft, wird sicherlich in China bleiben. Bangladesch und Indien kann ich nicht einschätzen, ich kenne nur die schrecklichen Corona-Bilder von dort. Was soll sich denn geändert haben? Covid-19 war oder ist überall auf der Welt. Und der Frachtverkehr wird sich wieder normalisieren.
Wird die Modebranche die Chance nutzen, die Lieferrhythmen dem Klimawandel anzupassen?
Das sind Prozesse innerhalb der Firmen. Die Begriffsdefinitionen sind oft unklar kommuniziert. Was bedeutet Herbstprogramm aber Ready-to-Wear Lieferung im Juni? Einige Firmen machen das seit einigen Saisonen gut. Je mehr Themen die Kollektion hat, desto besser kann es gelebt werden. Wer nur Kaschmirpullover anbietet, kann nicht alles ausschließlich im Oktober liefern.
Ist den Marken bewusst, dass die Situation in Österreich eine bedeutend bessere ist, weil es noch viele Eigentümergeführte Betriebe gibt, die gesellschaftlich in ihrer Region vernetzt und integriert sind? Und dass der österreichische Sommertourismus positive Auswirkungen auf den Umsatz haben könnte?
Eigene und von Familiennachfolge geprägte Firmen werden sicherlich bei den unternehmerischen Entscheidungen – vor allem in solch einer Krise – mittelfristiger denken als Private Equities. Ich hoffe, dass viele Deutsche nach Österreich kommen und als Souvenirs Dirndl und Skijacken mitnehmen. Dann hat sich der Urlaub im schönen Österreich mehrfach gelohnt. Entscheidend für den österreichischen textilen Mehrumsatz durch Touristen ist, ob das für Fernreisen Ersparte für Konsum ausgegeben werden kann oder dem Kurzarbeitergeldausgleich und kleineren Gehältern zum Opfer fällt.
Viele Zukunftsforscher sagen, gegen den Klimawandel ist Corona ein Kinderspiel. Glauben Sie, dass diese Botschaft beim Konsumenten ankommt und nachhaltige Marken an Bedeutung gewinnen werden? Was sollten nachhaltige Anbieter tun, um den Trend für sich zu nutzen?
Bei den Talkshows war es am besten zu erkennen. Wochenlang saßen Greta Thunberg, Luisa Neubauer und andere Fridays for Future Aktivistinnen Politikern und Managern gegenüber, um über Klimaschutz zu diskutieren. Der grüne Politiker Habeck wurde schon als neuer Kanzler ausgerufen. Deutschland war im Klimafieber und die Schüler am Freitag streikend auf der Straße. Auf einen Schlag waren sie über ganze Wochen von der Schule zwangsbefreit. Bei den Talkshows saßen nun Virologen wie Drosten, Kekulé und Streeck. Statt nach Habecks Klimapolitik rief man nach Merkels Rettungsschirmen. Luft- und Kreuzfahrt konnten nicht länger geächtet werden, sie standen still. Und je länger sie auf Halde sind, machen sie zwar keinen CO2- aber einen riesigen Finanzschaden.
Warum haben aber Politik und Bevölkerung beim Virus ‚Covid‘ viel schneller reagiert als beim Virus ‚Klima‘? Warum folgte jeder Einzelne artig täglich neuen Verboten?
Weil Corona mich heute und persönlich, vielleicht sogar mit dem Tod, betrifft. Der Klimawandel betrifft erst die nächste Generation. Diese wird beides bewältigen müssen: die wirtschaftlichen Folgen von Covid 19 und jene des Klimawandels. Im Augenblick ist Covid-19 näher: Bei Nile war zur Panorama das Interesse für 100% Nachhaltigkeit sehr groß, wie auch in der benachbarten Neonyt-Halle. Ab dem Shutdown war den Händlern der Lieferant mit den besten Konditionen für Valuta und Rückgabe der wichtigste, nicht derjenige mit den meisten Umweltzertifikaten. Die ersten Nachhaltigkeit-Pop-Ups kommen jetzt auf die Flächen. Es wird Follower geben. Nachhaltige Lebensmittel haben beim Homeoffice-Homecooking an Bedeutung gewonnen, nachhaltige Textilien werden nachziehen. Wir sind führend in der Mülltrennung, nun auch im Hände waschen – vielleicht klappt es auch beim Klimaschutz.
Halten Sie es für richtig, dass die Modemarken jetzt reflexartig ihre Marketingbudgets drastisch zurückfahren? Müsste man die Neuordnung nach Corona nicht gerade dafür nutzen, Mode wieder begehrlicher zu machen?
Geldausgeben hat immer mit Abwägungen zu tun, mit Preis/Leistung, Mehrwerten, oder just for Fun. Jetzt wird auf Messbares gesetzt, Ausgaben für Dinge, die sofort realisiert und sichtbar sind, wie für Digitales. Werbung und vor allem Print werden oftmals als just for Show gesehen, Erfolg ungewiss.
Die Krisen der Vergangenheit haben aber bewiesen, dass Marken, die ihre Werbeausgaben stark zurückgefahren haben, viel langsamer zurückgekommen sind.
Es wird sich verhalten wie mit den Showrooms. Werden alle virtuell oder wird es noch Marken geben, die gerne ihre neuen Farben und Modelle live präsentieren möchten? Wird es noch Einkäufer geben, die Qualitäten gerne vor der Lieferung prüfen, Passformen testen – und haptisch unterwegs sein möchten? Das gleiche gilt für Zeitungen. Das Gedruckte ist für die Fans der Haptik und das müssen noch lange nicht die Gestrigen sein.
Werden die Konsumenten, die ihr Geld vorsichtiger ausgeben, eher auf starke Marken setzen oder ist der Preis das einzig entscheidende?
Jetzt wird erst einmal das Schnäppchen shoppen kommen, zu viel Ware muss raus, alle brauchen Platz. Dann – vorausgesetzt ohne Masken – geht es zu einer neuen Normalität. Shopping as usual, Shopping as Portemonaie oder Shopping as a new Consumer?
Was sollte der Händler bei der Orderrunde F/S 2021 beachten?
Entgegen manchen Kommentaren nicht auf den Start am 1.Dezember zu verzichten, ready-to-wear, Start in die neue Saison. Hierzu bietet Sportalm eine neue Linie, sportiv, lässige Outfits, mit dem Namen der Inhaberin und Designerin Ulli Ehrlich. Das passt in die Zeit nach der Krise und zum im Homeoffice gefundenen neuen Bedürfnis nach Sportivität, Bequemlichkeit und eigenem Stil. Die Kundin kennt nach zwei Monaten Hausarrest ihren Kleiderschrank und sucht Neues.
Welche Marken werden Ihrer Meinung nach auch im Sommer 2021 noch Bestand haben?
Ich denke die meisten und hoffe viele. Jede Firma hat ihre eigene Geschichte, Leistung und vor allem Mitarbeiter. Die Frage nach der Daseinsberechtigung ist eine andere Sache. Es steht außer Frage, dass wir alle noch etwas anzuziehen hätten, selbst wenn viele wegfielen.
Wann wissen wir, dass sich die Branche wieder von Corona erholt hat?
Wenn statt Lock-Down und Lock-erungen wieder mehr über Lock Norbert in der österreichischen Texitilzeitung steht.