Kundenbedürfnisse haben sich durch Corona verändert und der Handel reagiert darauf. Wie das Einkaufserlebnis sich entwickelt, schildert Gerhard Raffling, VP & Country Manager beim Customer-Experience--Spezialisten Medallia.
Corona hat im Handel viel verändert – welche Auswirkungen hat die Pandemie auf den »Luxus« beim Einkaufen?
Pandemie und Krise haben Händler veranlasst, sich noch intensiver mit Technologien und Tools zu beschäftigen, die sie benötigen oder zum Teil schon nutzen, um erstklassige, personalisierte Kundenerlebnisse zu schaffen. Die zentrale Frage war und ist, wie das Einkauferlebnis digital wiederzugeben ist und was sich der Kunde genau erwartet. Jedes physische Einkaufserlebnis spricht alle sechs Sinne an, digital sind wir auf Eindrücke wie sehen und hören reduziert. Die Erfahrung eines positiven oder gar luxuriösen Einkaufserlebnisses entsteht und bleibt in Erinnerung durch die Summe dessen, was wir dabei gefühlt haben. In der analogen Welt fängt dies bereits beim Betreten eines Einkaufsgeschäftes und dem Begrüßen an und geht in die persönliche Beratung und das Tailoring über. Aktuell gilt es also Technologien zu nutzen, die ein entsprechendes Kundenverständnis und -engagement auch online gestatten. Diese ermöglichen etwa, Kunden das Hochladen von Selfies für das Anprobieren von Brillen oder Kleidung anzubieten. Exakte Beschreibungen der Modellmaße helfen bei der Größenauswahl und die Speicherung früherer Käufe wird für die »Beratung« von personalisierten Kaufempfehlungen verwendet. Doch das ist nur der Anfang. Customer Experience Technologien verhelfen Händlern, ihre Kunden immer besser kennenzulernen und ihre Wünsche und Absichten im Voraus zu »erahnen« – eine Fähigkeit, die von jeher als ultimativer Luxus empfunden wird. Luxus hat sich jenseits von hohen Preispunkten und ikonischen Labels entwickelt und dreht sich stattdessen mehr denn je um Einzigartigkeit, Bedeutung und Erfahrung. Er wird erfahren als eine bedeutungsvollere Kundenreise und -beziehung. Mit Technologien der Echtzeit-Kommunikation ist es Händlern möglich, ein luxuriöses Einkaufserlebnis zu schaffen und Loyalität in einer Zeit zu fördern, in der bereits die persönliche Verbindung als großer Luxus gilt.
Händler versuchen ihre Kunden stets direkt zu erreichen, aktuell ist die Echtzeit-Kommunikation ein großes Thema. Wie ist hier der Stand der Technik?
Viele Händler haben sich hier Wege gesucht, um diesen Bereich für sich umzusetzen. Dennoch bleibt Echtzeit-Kommunikation offen gesagt etwas, das viele Händler noch immer nicht besonders gut beherrschen. Getrieben durch die Pandemie haben sie oft sehr rasch und überstürzt von der klassischen Werbung zum Online-Marketing gewechselt. Dies ist manchen besser, anderen weniger gut gelungen. Damit beschäftigt, die aktuelle Situation irgendwie zu bewältigen, blieb bei vielen dabei eine sorgfältige Vorbereitung der Onlinekanäle auf der Strecke. Darunter leidet dann die Customer Experience: Denn nicht funktionierende Chats, kaum durchdachte Suchfunktionen, lückenhafte Lagerbestandsführung sowie unklare Statusmeldungen führen zu frustrierten Kunden. Auch namhafte Brands sind in den letzten eineinhalb Jahren daran gescheitert. Es ist also essenziell, die Online-Experience der Kunden zu verstehen, um Schwachstellen in der Journey zu identifizieren und zu beheben. Die Analyse hunderter verschiedener Online-Metriken inkl. Session Recordings ermöglichen hier in Echtzeit die Analyse hunderttausender Kundenerfahrungen und das Ableiten gezielter Maßnahmen. Die Technologie dafür ist vorhanden. Die Frage ist, wie schnell Händler es schaffen, Silos aufzubrechen und für eine erfolgreiche Customer Experience die gesamten Prozesse entsprechend auszurichten.
Die »Erlebniswirtschaft« soll für staunende Gesichter sorgen, aber welche Branchenunterschiede erkennen Sie? Und wie schaut das beim Lebensmitteleinzelhandel aus?
Staunende Gesichter verlieren gegen Bequemlichkeit. Dies ist aktuell auch in der Praxis bei verschiedensten Unternehmen zu beobachten, die miteinander im Wettbewerb stehen. Erwartungshaltungen von Kunden sind mittlerweile branchenübergreifend und produktunabhängig. Kunden vergleichen ständig, bewusst und unbewusst. Erlebtes aus dem stationären Handel wird aktuell ständig mit Online-Erfahrungen verglichen - und vice versa. Die Differenzierung zu Mitbewerbern erfolgt emotional und branchenübergreifend. Consumer-Reviews und auf Preisspannen reduzierte Vergleichbarkeit beeinflussen den Wettbewerb zusätzlich. Erlebnisgüter mit positiver Konnotation werden so immer öfter zu Gebrauchsgütern mit negativer Konnotation. Mit Marketingmaßnahmen kommt man diesen Entwicklungen nicht bei. Die Pandemie fungiert hier nur als Beschleuniger. Der Einzelhandel ist der offensichtliche Verlierer. Vor 15 Jahren war eine außergewöhnliche Customer Experience noch ein Differenzierungsmerkmal und exzellente Customer Experience hat Gewinner wachsen lassen. Mittlerweile ist eindeutig zu beobachten: Nachzügler bei der Customer Experience werden gnadenlos aus dem Markt verdrängt. Customer Experience Management bedeutet nicht mehr sich dadurch vom Rest abzuheben und zu differenzieren. Optimiertes Customer Experience Management heißt heutzutage seinen Fortbestand zu sichern. Wer mitzieht, sichert womöglich sein Überleben.
Welche Auswirkungen haben diese Trends auf den Ladenbau und die Nutzung der Verkaufsfläche?
Der Offline-Retail wird relevanter für das Erlebnis selbst und der bisherige Hauptvertriebskanal wird post-covid immer häufiger als eine Branding-Maßnahme gesehen. Das Online-Shopping, Click & Collect, die damit verbundene Bequemlichkeit und Zeitersparnis werden zum Usus. Infolgedessen werden wir immer mehr Ladenflächen sehen, die sich stärker auf das »Erleben« konzentrieren. Der Verkauf als solcher rückt in den Hintergrund. Der Brand muss im Shop in Erinnerung bleiben. Es müssen nachhaltige Erfahrungen geschaffen werden, die mich als Kunden später online wieder danach suchen lassen. ROPO - research offline, purchase online - bekommt durch die Pandemie einen neuen Drive. Jene Händler, die über starke Analysefähigkeiten verfügen, werden in der Position sein, ihre Ladenflächen für die Präsentation bestens auszurüsten sowie Mitarbeiter mit Daten zu versorgen, um so letztendlich zur positiven Erfahrung zu führen. Mit der richtigen Technologie kann ein datenbewusster Einzelhändler den Erfolg seines Wertversprechens messen und die Rentabilität verbessern.
Nehmen wir an, ein Lebensmittelhändler setzt voll und ganz auf diese Trends. Bitte führen Sie uns durch einen Einkauf, vom Holen des Einkaufswagens bis zum Verlassen des Geschäfts.
Der Einkauf beginnt schon vor dem Betreten des Lebensmittelgeschäftes. Via App informiert sich der Kunde über die aktuellen Angebote und bekommt als eingeloggter Kunde personalisierte Kaufempfehlungen. In der App erstellt der Kunde dann seine Einkaufsliste und synchronisiert diese beim Betreten des Geschäftes mit dem Einkaufswagen, um während dem Einkauf die einzelnen Artikel automatisch abzuhaken. Produkte in Aktion oder ergänzende Produkte werden samt Rezeptempfehlung als Option angezeigt. Diese App ermöglicht einen schnelleren Einkauf, denn auf Basis der individuellen Einkaufsliste wird auf einer Karte die effizienteste Route durch den Laden angezeigt. Zudem habe ich als Kunde Zugriff auf Produktinformationen wie Inhaltsstoffe oder Pflegehinweise und sogar die Möglichkeit, noch während meines Einkaufs Feedback zu geben. Durch die Information wo sich der Kunde im Geschäft befindet, wird auch die Wartezeit an den Kassen optimiert. Nach Bezahlung erhält man eine Nachricht, in der sich der Händler für den Einkauf bedankt und auf den aktuellen Stand der Treuepunkte oder Ähnliches hinweist. Die Mitarbeiter-Version der App bietet dank Barcode-Scanning die Möglichkeit, Preisauszeichnungen zu überprüfen und Lagerbestände zu kontrollieren. Kurzum - egal welche Technologie ich als Händler einsetze, mein Ziel bleibt: Das Erlebnis des Kunden einfacher und zielführender zu gestalten.
Dieser Text erschien zuerst auf www.cash.at.