Die Menschen sehnen sich nach Mehrwert und das bekommt auch der Handel zu spüren. Im Interview erzählt Christoph M. Achammer, CEO ATP architekten ingenieure, von Erlebnis, Nachhaltigkeit, Multifunktionalität, aber auch Kleinteiligkeit als Faktoren für die Handelsimmobilie der Zukunft.
Herr Achammer, in den letzten Jahren hat sich im Handel viel getan, Stichwort Digitalisierung, Mobilität und Nachhaltigkeit. Wie wirken sich diese Trends auf Handelsimmobilien aus?
Ich muss Ihnen ein bisschen widersprechen. Diese Themen sind zwar in den Überschriften angekommen, aber in der Realität ist das noch ein bisschen anders. Oft sieht sich der Handel noch immer als eine hochwertige Güterverteilung, bei der es darum geht, einen Bedarf zu stillen. Diese Zeiten sind vorbei, denn es gibt keinen Bedarf mehr, der nicht gedeckt ist. Aber Sie haben natürlich Recht, dass diese Trends den Handel, aber auch die gesamte Immobilienwirtschaft mit voller Wucht treffen. Das größte Thema ist die Nachhaltigkeit. Was viele dabei noch gar nicht auf dem Radar haben, ist, dass nach dem Green Deal 2050 der EU Finanzmarktteilnehmer ihre ESG-Faktoren (Anm: Environmental, Social and Governance) in ihren Beratungsprozess integrieren müssen. Langfristig werden Investoren also in nichts mehr investieren, was nicht in diese Themen ein zahlt.
Was bedeutet das konkret für die Planung? Wie sieht die Handelsimmobilie der Zukunft aus?
Wir werden zum Beispiel mehr aus Holz bauen. Wir kreieren Lösungen, um nicht mehr kühlen zu müssen et cetera. Der Handel muss aber auch erkennen, dass er nicht mehr nur eine Versorgerfunktion hat, sondern ebenso soziale Begegnungsstätte oder Entertainmenteinrichtung ist. Es geht nicht mehr darum, den letzten Quadratmeter Handelsfläche herauszuquetschen, sondern um Gebäude, die im Quartier, in der Stadt oder im Dorf Ambiente schaffen. Jedes Gebäude muss unser Leben besser machen können.
Sie sprechen von Erlebniswelten?
Es geht um eine Schaffung von Mehrwert für das Leben. Wenn ich drei Stunden Zeit habe, möchte ich nicht nur einen Bedarf mit möglichst wenig Aufwand decken. Das kann ich auch online machen. Ich möchte Freunde treffen, etwas essen, mich in einem schönen Ambiente bewegen, wo ich im Fall auch etwas kaufen kann. Ich zitiere an dieser Stelle immer gerne einen Kollegen, der sagt: Die digitale Welt ist die Welt ohne Überraschungen, die Welt der Perfektion. Die analoge Welt muss also das Gegenteil sein und Überraschungen, aber auch Imperfektion zulassen.
Gilt das auch für den LEH?
Der LEH ist der Letzte, der sich umstellen muss. Wobei er im Schaffen von Mehrwerträumen schon gut unterwegs ist. Im Westen ist MPreis ein Beispiel. Man kommt in den Laden und
ist auf einer Art Dorfplatz. MPreis war einer der Ersten, der mit Handelsarchitektur begonnen hat, um einen Mehrwert zu erzielen. Hansjörg Mölk hat einmal gesagt: »Wenn die Leute zu uns einkaufen gehen, habe ich das Gefühl, sie ziehen sich schöner an.«
Muss man diese Immobilien neu bauen oder kann man auch bestehende revitalisieren?
Sowohl als auch. Das Problem ist, dass sich viele bestehende Handelsimmobilien nicht revitalisieren lassen. Es wurden in der Vergangenheit 1.000 Quadratmeter große Blechschachteln mit 3.000 Quadratmeter Parkplatz gebaut – und das in einem Land, wo der Platz äußerst begrenzt ist. Diese müssen weggerissen werden, um Platz für neue, nachhaltige, multifunktionale Häuser zu schaffen. Was spricht dagegen, wenn ich ein Gebäude habe, wo unten ein Supermarkt angesiedelt ist, darüber eine Ordination und obenauf noch Wohnungen, in denen junge Leute leistbar wohnen können? Das geht in der Stadt, warum nicht auch in Dörfern oder Quartieren? Für den Handel heißt das zudem, dass er weg von Mehrgeschoßigkeit, hin zu ebenerdigen Flächen geht. Es wird wieder mehr kleinere, lokalere Strukturen geben. Regionalität hat einen höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen, auch bei Lebensmitteln. Die großen Lebensmittelketten bemühen sich und entwickeln Konzepte wie zum Beispiel den MiniM inTirol. Aber es werden sich auch Chancen für kleine Händler eröffnen.
Heißt das, von diesen Entwicklungen können auch ländlichere Regionen profitieren und eventuell dem Ortskernsterben entgegenwirken? Und hat das städteplanerische Konsequenzen?
Können sie. Sicher werden in Zukunft die einschränkenden Öffnungszeiten fallen, was dem Ganzen noch mehr auf die Sprünge helfen wird. Da geht es eben nicht um 24/7-Öffnungen zum reinen Konsumieren, sondern um »places to be«. Große Backwarenkonzerne wie Ruetz oder Felber zeigen, welche Kundenfrequenzen auf diese Weise möglich sind, auch in »Ungegenden«. Es geht aber auch um die Nutzung des öffentlichen Raums. Man hat sich 40 Jahre lang auf einzelne Bauobjekte konzentriert und den öffentlichen Raum in seinem gesamtheitlichen Konzept außer Acht gelassen. Das wird sich ändern. Wir arbeiten bei ATP zum Beispiel an einem städtebaulichen Ideal-Projekt, dem Superblock, als autofreie Zone – was nicht heißt, dass man zum Ausladen nicht zufahren kann, aber man kann nicht dauerhaft parken. Da werden die Straßen den Menschen wieder zu rückgegeben, Bäume gepflanzt und Fassaden begrünt. Es entstehen lebenswerte Quartiere, mit Platz für 5.000 bis 8.000 Bewohner – davon kann ein Supermarkt leben, eine Boutique und mehr. Das funktioniert auch für ein Dorf.
Keine Straßen, keine Parkplätze. Was bedeutet das für die Mobilität?
Wir werden keine Handelsimmobilien mehr bauen, die nur durch den Individualverkehr erschlossen werden können. Der Anteil des öffentlichen, Rad- und fußläufigen Verkehrs wird erfolgsentscheidend sein.
Ich möchte noch kurz auf die Shoppingcenter zu sprechen kommen, die ja nicht gerade kleinteilig und meistens auch nicht parkplatzarm sind. Sind die dann überhaupt noch zeitgemäß?
Ja. Sie haben vor allem dort eine Berechtigung, wo sie eine Bezirksversorgungsfunktion haben oder wo sie eigene Identitäten haben.
Gibt es in Österreich noch Platz für neue Einkaufszentren?
Ich glaube nicht. Für die bestehenden muss man jetzt beginnen, eigene Stadtstrukturen mit zusätzlichen Funktionen zu schaffen, wie integrierte Ärzte- oder Seniorenzentren, Schulen et cetera. Der Nukleus ist, ein neues städtisches Ambiente zu entwickeln. Das ist nicht ganz einfach, aber wird die Zukunft sein.
Das Shoppingcenter der Zukunft ist also ein multifunktionaler Stadtteil?
Genau und da fällt mir doch noch ein Ort ein, der sich als ein solches neues Stadtquartier eignen würde – eine Ausnahme sozusagen: Der Franz-Josephs-Bahnhof in Wien. Die Infrastruktur und die öffentliche Anbindung wären bereits gegeben und er könnte zu einem Stück Stadt mit einer großen Handelskomponente werden.
Dieses Interview erschien zuerst auf cash.at.