Der Modefilialist Ernsting’s family hat vor Kurzem sein 100. Geschäft in Österreich eröffnet. Grund genug für ein Interview mit Country Manager Roland Steyer.
Vor zehn Jahren hat Ernsting’s family im Wiener Donau Zentrum seine erste Filiale hierzulande eröffnet. Vor wenigen Tagen haben Sie mit neuen Geschäften in Bregenz und in der Seestadt Aspern in Wien die Marke von 100 Geschäften übersprungen. Keine Selbstverständlichkeit: Marken wie Bik Bok, Dressmann, OVS oder Springfield hat man in dieser Zeit kommen und auch schon wieder vom Markt verschwinden gesehen.
Auch uns hat man zu Beginn keine großartige Chance gegeben. Der Markt ist besetzt, das können H&M und C&A besser, hat es geheißen. Doch es ist uns sehr eindrucksvoll gelungen, dass wir uns dauerhaft in allen neun Bundesländern etablieren konnten.
Sie haben Anfangs sehr rasant expandiert, schon 2014 hatten Sie 70 Filialen. Für die nächsten 30 Standorte haben Sie deutlich länger gebraucht.
Bei einer weißen Landkarte geht die Expansion relativ rasant, mit der Zeit wird es natürlich schwieriger. Wenn man auch die Mietpreise bedenkt, die wir uns vorstellen können. Unser Fokus ist ertragreiches Wirtschaften und dauerhafte Präsenz an den Standorten. Flagship-Stores, wie sie andere zu Repräsentationszwecken bauen, haben wir uns erspart. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist, dass wir diesem Prinzip immer treu geblieben sind.
Derzeit befinden sich ja viele Modekonzepte eher auf dem Rückzug. Kommt Ihnen das bei der Expansion zugute?
Durchaus. Wir können 150 bis 200 Quadratmeter, und wenn es einmal 220 Quadratmeter sind, ist es auch okay. Der Anteil derer Textilhändler, die in diesem Segment Standorte suchen, ist in den letzten Jahren deutlich kleiner geworden.
Sind heuer noch weitere neue Standorte geplant?
Im Mai eröffnen wir im Citypark in Graz. Auch für ein Geschäft in Grieskirchen sind die Verträge fixiert. Darüber hinaus gibt es noch einige Standorte, über die ich noch nicht final sprechen kann. Verdichten wollen wir unser Netz definitiv in den Wiener Bezirken, in Lagen wie der Josefstädter, der Alser, der Wallensteinstraße. Letztes Jahr haben wir in der Nussdorfer Straße eröffnet. Solche Nahversorgungslagen funktionieren gut für uns. Wo es eine funktionierende Wohnstruktur und begleitend Handel, Dienstleistung und Gastronomie gibt, agieren wir als textiler Nahversorger. Auch das ist Teil unserer Erfolgsstory: Wir hatten von Beginn an den Mut, hin zu unseren Kunden zu gehen.
Was hat Ernsting’s family in den letzten Jahren an seinem Konzept verändert?
Der Ladenbau wird natürlich laufend optimiert. Das Geschäft in Aspern hat mit den ersten Läden nur noch relativ wenig zu tun. Auch unser Sortiment hat sich deutlich weiter entwickelt. Aber den Fokus verlieren wir nie aus den Augen: Was wir besonders gut können, ist das Preis-Leistungs-Verhältnis, die Regionalität und das Thema Familie mit Kindern. Es gibt keinen zweiten, der den österreichischen Markt so bespielen kann. Der Trend zum regionalen Einkaufen hat sich durch Corona ja noch verstärkt.
Durch Corona haben bekanntlich die großen Einkaufszentren besonders stark verloren, während sich Nahversorgungslagen wie Fachmarktzentren deutlich besser geschlagen haben.
Die Maßnahmen zur Kontaktreduktion haben ganz stark bei den überregionalen Centern und in den hochfrequentierten Innenstädten gegriffen. Wir verzeichnen in unseren Filialen in den innerstädtischen Frequenzlagen bereits wieder eine passable Frequenz, sind aber noch nicht am Ausgangsniveau. In den Top-Frequenzlagen wird es aus meiner Sicht auch noch länger dauern. Der Kunde deckt seine Bedürfnisse eher in seinem unmittelbaren Wohnumfeld.
Ich glaube auch nicht, dass man an einem Tag X den Schalter umlegen kann, und alles ist wieder so wie früher. Aber die Frequenzen in den Top-Einkaufslagen werden wieder stärker werden. Genauso wird der aktuell etwas höhere Zustrom in den Nahversorgungszentren wieder zurückgehen. Aber mit konkreten Prognosen tu ich mir schwer. Und ich bin sehr froh, dass wir mit unserem Portfolio wirklich breit aufgestellt sind.
Zum Standortportfolio gehört inzwischen ja auch der Online-Store dazu.
Wir sind froh, dass wir den Onlinekanal haben und somit auch in der Zeit der Lockdowns zumindest gewisse Umsätze erzielen konnten. Es geht dabei natürlich auch um Kundenbindung, darum mit den Kunden weiterhin in Kontakt zu bleiben. Wie jeder, der einen Onlineshop hat, hatten auch wir extreme Zuwachsraten in diesem Segment. Aber die Steigerungsraten werden sicher nicht dauerhaft so bleiben.
Ernsting’s family ist ein deutsches Familienunternehmen aus dem Münsterland. Zusätzlich zu den 100 Filialen in Österreich betreiben Sie rund 1.800 Geschäfte in Deutschland, die großteils immer noch – und vermutlich noch länger – geschlossen sind. Wie lange hält man das aus?
Mir ist ganz wichtig zu sagen: Wir haben im Corona-Jahr 2020 keine*n einzige*n Mitarbeiter*in gekündigt. Der Personalstamm ist sogar gewachsen, weil wir expandiert haben. Darüber hinaus war es uns möglich, das Gehalt die ganze Kurzarbeitszeit hindurch auf 100 % aufzustocken. Für uns sind unsere Mitarbeiter*innen ein zentraler Erfolgsgarant. Es ist der Familie Ernsting ein Anliegen, in diesem Markt zu bleiben, und wir sind uns zu 100 % bewusst, dass da die Mitarbeiter*innen dazu gehören. Wir wollen, wenn das alles wieder vorbei ist, alle Ressourcen an Bord haben, um unsere Marktposition weiter ausbauen zu können. Jede*r unserer Mitarbeiter*innen hat eine Aufgabe, der er bestmöglich nachkommt. Und wir nehmen alle durch dieses Jahr mit, auch wenn es Geld kostet. Das wirtschaftliche Risiko wird durch die Eigentümerfamilie getragen und nicht an die Mitarbeiter*innen weitergegeben.
Wie lange ist das möglich, wenn der Lockdown in Deutschland jetzt noch einmal verlängert werden soll?
Keine Frage, die Schmerzen sind hoch, und jedes Monat wird aufs Neue überlegt, ob das immer noch geht. Bis jetzt war es mit großen Bauchschmerzen immer noch möglich, weil wir in den letzten Jahren sehr gut gewirtschaftet haben. Aber die Reserven sind fast aufgebraucht. Uns fehlt mittlerweile ein dreistelliger Millionenbetrag, nicht nur im Umsatz sondern auch im Ergebnis.
Wie laufen die Geschäfte in den österreichischen Läden aktuell?
Wir sind aktuell auf einem guten Stand. Speziell bei Bedarfsartikeln, bei Kinderbekleidung, bei allem, was in Richtung auf Ostern zugeht, sind wir auf einem guten Niveau. Von einem sehr guten Niveau sind wir noch ein bisschen entfernt. Bei Teilen, über die man etwas länger nachdenken kann, die mehr in Richtung Dame gehen, müssen wir hingegen noch ein bisschen Geduld haben.
Und wie sieht das Lager aus?
In Deutschland sind die Lager natürlich voll mit Winterware. Die wurde aus den Filialen rausgeholt und wird im Herbst neu sortiert wieder eingesteuert. Dafür haben wir 30.000 m² Lagerflächen extra angemietet. In Österreich war das kein Thema. Hier wurde alles in den Filialen belassen und über den Preis ausgesteuert. Derzeit gehen gerade die letzten Reste um einen Euro weg.