Der Wiener Premium-Department-Store Steffl steht seit Jahresbeginn unter der Leitung von Nico Heinemann, der zuvor u. a. das Berliner KaDeWe geleitet hat. Im Interview spricht er über die Nach-Corona-Zeit und den laufenden Umbau.
Wie würden Sie die Monate seit Ihrem Amtsantritt zusammenfassen?
Mein Start hier war sehr positiv, ich durfte gleich zu Beginn einen extrem guten Januar erleben, mit einem schönen zweistelligen Umsatzplus, richtig guter Frequenz und einem großartigen Spirit im Store. Schon im Laufe des Februars merkte man die ersten ausbleibenden asiatischen Touristen, was dann immer massiver wurde und am 14. März im Lockdown endete. Eine unfassbare Situation für jeden, der im Einzelhandel arbeitet. Da ich mit meiner Familie noch nicht in Wien lebe, war ich während des Lockdowns in Berlin, stand aber in täglichem Kontakt mit allen Mitarbeitern, allen Führungskräften. Wir haben beispielsweise innerhalb weniger Tage einen Onlineshop umgesetzt, um auch in dieser Zeit für unsere Kunden da zu sein. Man gewöhnt sich schnell an diese Videocalls. Das war eine der positiven Erkenntnisse der Corona-Zeit: dass man nicht für jedes kleine Thema weit reisen muss.
Verglichen mit Mitte Juli vor einem Jahr: Wo steht der Steffl gerade bezüglich Umsatz und Kundenfrequenz?
Wir sind noch lange nicht in der Welt, wie sie vor Corona war. Speziell unter der Woche, von Montag bis Donnerstag, ist die Frequenz eine ganz andere als vor einem Jahr. Überraschenderweise sind aber die Wochenenden stark. Wir haben an jedem der letzten drei Samstage ein kleines Umsatzplus zum Vorjahr erzielt. Dabei sind normalerweise Touristen für 50 bis 60 % unserer Umsätze verantwortlich, und da wiederum spüren wir das Fernbleiben der asiatischen Touristen. Dafür sind nun viele Schweizer da, viele Deutsche und auch Besucher aus den östlichen Nachbarländern. Und besonders an den Samstagen sind jetzt auch sehr viele lokale Kunden im Haus und werden fündig.
Wann rechnen Sie mit der Rückkehr der internationalen Touristen?
Ich hoffe nach wie vor, dass sich die Situation Richtung Herbst ein klein wenig lockern wird. Realistischer sind größere Schritte aber Anfang nächsten Jahres. Damit meine ich noch nicht, dass wir wieder an die Vorjahressituation anknüpfen. Aber dass wir wieder eine vernünftige Frequenz an Reisenden sehen.
Was ist mit den einheimischen Kunden, die heuer vielleicht auf Shopping-Trips nach Mailand oder Paris verzichten? Fällt davon etwas für den Steffl ab?
Wir haben seit zirka zwei Jahren unser Kundenbindungsprogramm, das wir sehr stark pflegen. Derzeit machen wir 80 % unserer Umsätze mit diesen Stammkunden. Dafür sind wir sehr dankbar – und darum werden wir das in Zukunft nochmal verstärkt pflegen. Ich kann auch bestätigen, dass viele Österreicher derzeit bewusst nicht bei internationalen Anbietern ihre Ware ordern sondern lokale Anbieter unterstützten.
Wie reagieren Sie kostenseitig auf die eingebrochenen Umsätze? Ware stornieren? Mitarbeiter entlassen? Mietkosten reduzieren wird kaum gehen, nachdem die Immobilie auch Ihrem Eigentümer gehört?
Fangen wir beim Personal an: Wie fast alle im Einzelhandel haben wir für die ersten drei Monate für alle Mitarbeiter Kurzarbeit beansprucht. Ansonsten haben wir keine staatlichen Unterstützungen benötigt, da unsere Inhaber in der Vergangenheit sehr wirtschaftlich gearbeitet haben. Was die Auslieferungen angeht waren wir bewusst sehr solidarisch mit der Industrie und haben auch während des Lockdowns Ware angenommen. Was uns hilft ist, dass nun die Auslieferungen für die Wintersaison zum Teil storniert wurden, zum Teil verspätet stattfinden. Somit können wir auch jetzt noch gut Sommerware verkaufen. Auch das ist ein positiver Aspekt von Corona: Das Verständnis vom richtigen Zeitpunkt ist wieder verstärkt in den Vordergrund gerückt. Wir brauchen im Juli keine Daunenjacken und keine winterliche Strickware.
Ihre gesamten Bestände werden Sie vermutlich trotzdem nicht verkaufen können?
Wir stehen mit vielen Lieferanten im Dialog, um etwaige Warenüberhänge abzubauen, auch durch Warenaustausch. Wir wollen partnerschaftlich zusammenarbeiten. Wir werden auch in Zukunft gut aufgestellt sein, was auch für die Industrie ein wichtiger Punkt ist. In solchen Zeiten sollten wir ein Stück enger zusammenrücken.
Sie haben schon angesprochen, dass Sie im April, nach einigen Wochen Corona-Schließzeit, einen Online-Shop gelauncht haben. Der wurde inzwischen wieder abgedreht. Warum?
Wir haben innerhalb von zehn Tagen mit einer unheimlichen Dynamik aller beteiligten Mitarbeiter einen Shop, der auf der Wix-Plattform basiert hat, aufgebaut. Wir haben uns auf Handtaschen, Sneaker und Gutscheine fokussiert, was während des Lockdowns gut angenommen wurde. Es gab aber viele Punkte, die nicht optimal zu lösen waren und auch nicht nachjustierbar sind. Darum haben wir nach der Wiedereröffnung unseres Department Stores den Online-Shop wieder offline genommen. Jetzt arbeiten wir mit Hochdruck an einer professionellen Lösung, die bis spätestens Ende des Jahres fertig sein soll.
Statt dessen gibt es nun Shopping per Telefon und Whatsapp.
Mit diesem »Shopping on Demand« haben wir während des Lockdowns sehr positive Erfahrungen gemacht. Es war immer ein Mitarbeiter im Laden, der unter Einhaltung aller Hygienemaßnahmen unsere Kunden telefonisch beraten und ihre Wunschpakete zusammengestellt hat.
Sie haben es angesprochen: Noch immer ist die Frequenz in der Wiener City gering. Doch es gibt Ausnahmen, etwa Ihre erfolgreiche Kooperation mit dem HipHop-Musiker RAF Camora.
RAF Camora ist ja Wiener und lebt in Berlin. Seine Kollektion gab es bisher nur online zu kaufen. Wir waren der erste Standort weltweit, der sie stationär präsentiert hat. Das war ein unfassbares Erlebnis. Wir hatten mehrere hundert Teile eingekauft, und schon bevor die Meldung offiziell rausging, waren wir so gut wie ausverkauft. Als RAF Camora dann bei uns im Haus war, haben wir ein paar gemeinsame Fotos gemacht, die er dann gepostet hat. Als seine Fans mitbekommen haben, dass er hier vor Ort ist, wurden wir regelrecht gestürmt von 17-, 18-, 19-jährigen Fans. Das war wirklich faszinierend. Überhaupt war nach dem Lockdown für uns sehr auffallend, wie stark gerade jüngere Käufergruppen den Steffl frequentieren. In unserer Contemporary-Abteilung »District 1« gab es schon am Vormittag des ersten Tages nach dem Lockdown die ersten Warteschlangen an den Kassen. Das hat uns gezeigt, dass die jungen Leute genug haben von Zuhause, das Leben genießen wollen, sich etwas gönnen wollen. Zu dieser Zielgruppe hat die Aktion mit RAF Camora natürlich hervorragend gepasst. Und genau das wollen wir auch in Zukunft noch klar verstärken: Erlebnis-Shopping, Emotionen, Kooperationen mit kleineren Labels, Pop-Up-Flächen auch mit mal Themen wie Elektronik oder Floristik, die man sonst bei uns nicht findet, die die Kunden aber inspirieren.
Im Haus laufen gerade Umbauarbeiten. Die Kinderabteilung wird neu aufgestellt.
In der Vergangenheit war die vierte Etage mit ihren 2.000 m2 komplett mit Kindermode bespielt, wir haben uns mit Jahreswechsel von den dortigen Pächtern getrennt. Künftig teilen sich die Fläche Sport- und Kindermode. Die Kinderabteilung belegt ein Drittel und wird Mitte August eröffnet. Die Sportwelt folgt Anfang Oktober, konzipiert vom Architekturbüro Blocher. Auch da wollen wir Storys erzählen und erleben lassen.
Bespielen Sie damit nun alle Handelsflächen im Haus selbst?
In der Mode ja. Eine Ausnahme ist noch die Beautyabteilung im Erdgeschoss, die Marionnaud betreibt. Und Longchamps bespielt eine Concession-Fläche.
Was ist für die neue Kinderfläche geplant?
Wir haben die besten der bisherigen Themen ausgewählt und auf ein klar ausgerichtetes Sortiment mit 600 m2 konzentriert, mit Marken wie Moncler, Dolce & Gabbana, Ralph Lauren, Burberry, Boss, Petit Bateau, Tommi Hilfiger, Stone Island Junior. Wir werden auch die starke Schuhkompetenz weiterführen.
Und im Sport?
Wir fokussieren uns natürlich weniger auf die Hartware, mehr auf Textilien. Im Winter werden Skibekleidung, Snowboard und Outdoor die großen Themen sein, darüber hinaus Fitness, Running, Yoga, Bike, Tennis und Golf – insgesamt acht bis neun Themenwelten. Auf 1.200 m2 bieten wir ein großes Spektrum toller Marken, in einer unheimlich lifestyligen Inszenierung, mit außergewöhnlichen Materialien und toller Beleuchtung. Wir werden viel mit digitalen Screens arbeiten, auf denen wir emotionale Sport- und Lifestylefilme zeigen. Außerdem wird es Concept-Flächen mit elektronischen Gadgets geben, wie GoPro-Kameras, Drohnen oder Fitnesstrackers.
Mit welchen Erwartungen gehen Sie in den Herbst? Und wie haben Sie mit dem Einkauf noch auf die geänderten Rahmenbedingungen reagieren können?
Wir haben von den Lieferanten zirka 15 bis 20 % Stornierungen erhalten. Teilweise sind das Artikel, die wirklich wichtig wären, teilweise auch welche, die man entbehren kann. Ich mache mir für die Wintersaison keine großen Sorgen, wir werden insgesamt gut aufgestellt sein.
Wie planen Sie die nun anlaufende Order?
Die ist bei uns schon voll angelaufen. Wir sind etwas vorsichtiger für den Fall, dass die Asiaten nächstes Jahr doch noch nicht in der Masse da sein sollten, wie wir uns das wünschen. Aber wir wollen natürlich versuchen, die heuer verpassten Umsätze so schnell wie möglich zurückzugewinnen.
Und rein technisch? Es gibt kaum Messen, wird da mehr digital geordert? Wird sich der Orderprozess auch längerfristig verändern?
Tatsächlich befanden sich Ende Juli noch nie so viele Einkäufer bei uns im Haus. Es wird sehr viel per Videocall erledigt. Teilweise sind Orders auf digitalem Weg sehr gut möglich. Auf der anderen Seite ist es natürlich nicht ganz so einfach, die Ware zu bewerten. Ich glaube, dass kleinere Liefertermine in Zukunft verstärkt per Video platziert werden können, größere Orders sollten aber schon im Showroom stattfinden. Ich war vor kurzen in Metzingen bei Hugo Boss, da habe ich wieder gemerkt: Es ist deutlich angenehmer, die Ware und das Gesamtbild der Kollektion zu sehen. Trotz Maskenpflicht im Showroom. An eine wirklich große Umwälzung im Business glaube ich deshalb nicht. Heuer ist ein absolutes Ausnahmejahr.
Von vielen Seiten gibt es Bemühungen, das Hamsterrad der Mode, das sich zuletzt immer schneller gedreht hat, wieder etwas zu bremsen.
Ich würde das sehr, sehr begrüßen. Es ist eine Wohltat, nicht schon im Juni die ersten Daunenjacken auf der Fläche zu haben. Auch in der Außenwahrnehmung der Kunden macht man sich teilweise unglaubwürdig, wenn man mitten im Sommer schon Winterware zeigt. Ich habe aber auch hier ein bisschen Zweifel, ob sich wirklich längerfristig etwas ändern wird.
Im Mainstream-Markt gab es seit Corona schon zahlreiche Pleiten und Unternehmensschließungen. Wird sich auch die von Premium- und Luxusmode geprägte Handelslandschaft in der Wiener City verändern?
Ich kann mir vorstellen, dass sich da einiges verändern wird. Teilweise gab es schon vor Corona das eine oder andere Problem, das nun vielleicht massiver wird. Was ich bedauern würde, weil gute Konkurrenz das Geschäft belebt und die Attraktivität der Innenstadt erhöht. Ich würde es auch sehr begrüßen, wenn wir die Diskussion um verkaufsoffene Sonntage wieder aufleben lassen würden. In Berlin, wo ich das KaDeWe geleitet habe, hatten wir das zehn Mal im Jahr, vor besonderen Anlässen wie Ostern und Weihnachten, aber auch wenn die meisten Touristen in der Stadt sind. Diese Tage sind eine Sensation. Und ich kann aus eigener Erfahrung belegen: Das sind On-top-Umsätze. Teilweise gemacht von Touristen, die am Montag nicht mehr in der Stadt sind. Auch viele Mitarbeiter würden gerne am Sonntag arbeiten, zum Beispiel weil sich da der Partner um die Kinder kümmern kann. Ich glaube, dass der Handel auch in Wien extrem profitieren würde.
Sie haben gerade Ihre Zeit im KaDeWe in Berlin angesprochen. Auch Wien soll bald ein KaDeWe bekommen. Das wird dann drei mal so groß wie der Steffl.
Es wird größer, keine Frage, vielleicht doppelt so groß wie wir. Wir müssen die drei Jahre bis dahin nützen, um unsere Hausaufgaben zu erledigen – und davon gibt es noch einige. Ich weiß aber auch, dass wir ebenfalls unsere Stärken haben – unter anderem einen hervorragenden Standort. Wir sind mit unseren Marken und unserer klaren Strategie sehr gut aufgestellt. Ich sehe das KaDeWe deshalb nicht als direkte und massive Konkurrenz an. Wir freuen uns, dass Wien noch einmal ein Stück mehr belebt wird.