Auch während der Corona-Pandemie setzen sich die bekannten Trends fort: Während Nahversorger und die Gastronomie ihre Flächen in den Innenstädten ausbauen, verliert der Bekleidungshandel dramatisch. Die Mariahilfer Straße ist unangefochten der Top-Standort des Landes.
Seit 2013 analysiert Standort + Markt den Handel in den zwanzig größten Städten Österreichs und führt penibel Buch über alle Veränderungen im Branchenmix. Nun wurden die Daten für das Corona-Jahr 2020 präsentiert. Die Erhebung wurde zwischen September und November 2020 – also zwischen den Lockdowns – durchgeführt. Vielleicht die größte Überraschung: Der Leerstand in den heimischen Innenstädten ist gegenüber dem Vorjahr allen Unkenrufen zum Trotz (noch) nicht angestiegen und liegt konstant bei 5,9 %. Ansonsten fanden in den heimischen Geschäftsstraßen jene Trends ihre Fortsetzung, die sich schon seit Jahren beobachten lassen:
• Insgesamt hat sich die Geschäftsfläche in den innerstädtischen Geschäftszonen weiter reduziert. Wurde in den Jahren 2014 bis 2017 immer ein geringfügiges Flächenwachstum von jeweils ca. 0,5 % verzeichnet, ist die Shopflächenentwicklung seit 2018 rückläufig. Im Jahr 2020 gingen 1,2 % der Shopfläche verloren. Für die zwanzig analysierten Städte bedeutet das immerhin einen Verkaufsflächenrückgang um insgesamt 20.500 m2. Diese vormaligen Handels-, Gastronomie- oder Dienstleistungsflächen wurden in Wohn- oder Büroräumlichkeiten, aber auch Arztpraxen, Ämter o. ä. umgewandelt.
• Auch auf den verbleibenden Flächen verliert der Einzelhandel an Boden. Der Anteil der Kundenflächen, die der Einzelhandel belegt, ging seit 2014 von damals 73,5 % auf nunmehr 69,4 % zurück.
• Gesteigert hat sich hingegen der Flächenanteil, der von der Gastronomie bespielt wird. Belegte die Branche in den Jahren 2014 bis 2017 konstant 12,8 % der City-Geschäftszonen, wurde der Flächenanteil seither auf 13,4 % ausgebaut.
• Auch das Kurzfristbedarfsangebot (also der Lebensmittel- und der Drogeriefachhandel) in den innerstädtischen Geschäftszonen nimmt langsam aber stetig zu. Lag der Flächenanteil im Jahr 2016 in den zwanzig größten Citys des Landes noch bei 10,5 %, erhöhte er sich seither stetig auf nunmehr 11,2 % der gesamten Kundenfläche.
• Diese Tendenzen gehen klar zu Lasten des großen Verlierers der letzten Jahre: des Bekleidungshandels, der traditionell wichtigsten Domäne der Innenstädte. Stand er zu Beginn der Erhebungen im Jahr 2014 noch für 33 % der gesamten Kundenfläche der heimischen Citys, sank dieser Anteil seither Jahr für Jahr bis auf den nunmehrigen Tiefstwert von 28,8 %. »Diese Veränderung fiel signifikanter aus als in jeder anderen Branche«, erläutert Hannes Lindner, Geschäftsführer von Standort + Markt.
• Der Leerstand hingegen hat sich im Unterschied zu den Vorjahren nicht weiter erhöht. Wurde von 2014 bis 2019 ein doch deutlicher Anstieg von 4,5 % auf 5,9 % des Flächenanteils beobachtet, lag der Wert 2020 exakt auf gleicher Höhe. Für Lindner eine Folge der Kredit- und Steuerstundungen, die während der Corona-Pandemie von Banken und Finanzämtern gewährt wurden. »Wir denken, das ist die Ruhe vor dem Sturm. In den nächsten ein, zwei Jahren wird es zu gewaltigen Turbulenzen kommen.«
Die besten Geschäftszonen
Und was sind nun die besten Geschäftszonen des Landes? Hier hat die Mariahilfer Straße in Wien ihre Führungsposition im österreichischen Handel laut Standort + Markt noch einmal ausgebaut. Die größte Einkaufsstraße des Landes ist gleichzeitig jene mit der geringsten Leerstandsrate (2,4 %). Damit hat sie den Vorjahressieger Salzburg (3,0 %) überholt, der nun auf Platz zwei liegt. In Summe ergibt der »Health-Check« der Innenstädte aber ein durchaus erfreuliches Bild. Mehrere Handelszonen haben ihre Position klar verbessert, so etwa Leoben und die Wiener Favoritenstraße. Exzellente Noten bekommen außerdem die Landstraßer Hauptstraße in Wien, die oft unterschätzte niederösterreichische Landeshauptstadt St. Pölten sowie Linz und Innsbruck. Weiterhin erhebliches Potenzial wird für die Städte Baden, Mödling und Bregenz gesehen, die sich durch geringe Leerstandsraten, aber (zu) wenig Shopflächen auszeichnen.
Die größten Problemfälle unter den zwanzig führenden Handelsstädten sind hingegen Steyr (Leerstandsrate: 15,7 %), Krems (19,6 %) und Wiener Neustadt (28,8 %). Auffällig für die Studienautoren: Alle drei Städte kämpfen mit zuletzt stark wachsenden Einzelhandelszonen an der Peripherie. In Steyr etwa wurde 2019 das neue Einkaufszentrum Hey! Steyr sowie 2020 das neue Taborland eröffnet. In Krems übersiedelte zuletzt neben anderen die Drogerie Müller ins Bühl-Center. Elektrohändler Red Zac verlegte seinen Standort von der Fußgängerzone in die Nähe des Bahnhofs. Wiener Neustadt trägt nach der Erweiterung von Merkur City und Fischapark nun schon seit drei Jahren die rote Leerstands-Laterne. „Wir sind aber überzeugt, dass die Initiativen der Stadt im Rahmen eines umfassenden und umsichtig angelegten Innenstadt-Masterplans, der eine gezielte Nutzungsverdichtung in der Innenstadt vorsieht, in fünf bis zehn Jahren das Blatt wenden können«, meint Hannes Lindner. Was zeigt, dass Städte, die erst einmal tief in die Krise hineingerutscht sind, einen langen Atem brauchen.
Ausblick: City ohne Handel?
Der schon erwähnte Verlust insbesondere der Kernkompetenz Bekleidungshandel deutet laut Standort + Markt auf einen dramatischen Wandel der Funktionalität der Innenstädte hin – natürlich vor dem Hintergrund des gleichzeitig boomenden Online-Handels. »Der E-Commerce hat die Herausforderungen der Pandemie mit Auszeichnung bestanden«, meint Lindner, der für die nächsten zwei Jahre eine merkliche Beschleunigung aller genannten Trends erwartet. Viele »Zombie-Unternehmen« würden in den nächsten Monaten vom Markt verschwinden – und was nachfolgt, ist noch ungewiss. »Bei zahlreichen Citys ist heute bereits zu erkennen, dass wohl kaum mehr ausreichendes Shop-Mieterinteresse vorhanden ist«, sagt Lindner. Städte müssten sich zunehmend dafür entscheiden, in gewissen Zonen „zum geordneten Rückzug zu blasen« und andere Zonen durch zielgerichtete und Frequenz-fördernde Nutzungsverdichtung zu festigen. Ein wichtiges Thema in Bezug auf die bauliche und strukturelle »Hardware« einer Stadt sei »die Ausbildung von Achsen, Plätzen und Toren“. Vorstellbar sei aber auch das »Bratislava-Modell« einer durchaus attraktiven, und vor allem dank der Gastronomie gut frequentierten Innenstadt, in der jedoch kaum Handel stattfindet.
Lindner: »Angesichts des Kampfes zwischen E-Commerce und stationärem Händel ist es höchst an der Zeit uns die grundsätzliche Frage zu stellen, wie wir zukünftig versorgt werden wollen: Ist es ökomomisch und ökologisch sinnvoll, dass wir uns weiter mit E-Commerce zuballern lassen? Oder müssen wir die Notbremse ziehen? Ich weiß es nicht – aber um diese Frage werden wir nicht mehr herumkommen.«